MOLDAWIEN – eine Reise in das ärmste Land Europas

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Nicht wer zu wenig hat, sondern wer mehr begehrt, ist arm. Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr – 65 n. Chr)

Meine liebe Karin und ich waren schon in vielen Ländern. Auf der Suche nach einem Ort, wo wir beide noch nicht waren, hat es uns diesmal nach Moldawien (das sich gerne auch Moldova nennen lässt) verschlagen, das Erstaunen und Unverständnis unserer Mitmenschen über dieses ungewöhnliche Reiseziel war ähnlich groß wie vor 2 Jahren, als wir gemeinsam ASERBAIDSCHAN unsicher gemacht haben. Selbst nicht ganz so genau wissend, was uns dort erwarten würde, sind wir daher in Chiçinau aus dem Flugzeug geklettert und wurden von einer Stadt empfangen, auf die der Begriff „Ostcharme“ nicht treffender passen könnte.Version 2

Mit der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion am 31.08.1989 (Plätze und wichtige Straßen wurden nach diesem Tag benannt, sodass sich auch der uninteressierteste Besucher dieses Datum irgendwann automatisch merkt) hat Moldawien zwar dem kommunistischem Regime den Rücken gekehrt – die Spuren davon sind jedoch immer noch mehr als allgegenwärtig.IMG_4267

Wobei – der erste Eindruck war gar nicht schlecht. Vorbei an den für all diese ehemaligen kommunistischen Länder so typischen riesigen Plattenbau-Siedlungen erreichten wir das Stadtzentrum und damit unser Hotel Thomas Albert, das uns mit seinem westlichen Standard durchaus beeindruckte. Die Kommunikation mit den Angestellten dort war auf Englisch problemlos möglich, alles war sauber und hätten wir nicht gewusst, wo wir wirklich sind, so wäre jedes andere Land als Aufenthaltsort genauso gut in Frage gekommen.

Bei einem ersten Stadtbummel allerdings merkten wir sehr schnell, dass hier alles anders war. Halb eingefallene Häuser reihten sich aneinander, kaum ein Gehsteig-Abschnitt, der einigermaßen gerade war. Die Zäune hatten Löcher und das Straßenbild war geprägt von Hochhäusern, die hässlicher nicht sein könnten. Im Hotel hat man uns einen Stadtplan ausgehändigt, auf dem die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt markiert waren. Und so begaben wir uns schnurstracks zum Eternintate Memorial Complex, wo sich der Inbegriff eines kommunistischen Denkmals mit Heldenreliefs und ewiger Flamme über einen ganzen Park verstreut, befand.

Viel mehr Helden noch erwarteten uns auf diversen Plätzen in der ganzen Stadt. Dazwischen erstreckten sich zahlreiche Paläste und Regierungsgebäude, aber auch so manche durchaus hübschen Bauwerke, die bereits vor der Herrschaft der Sowjetunion errichtet und aus irgendeinem Grund den kommunistischen Kahlschlag überstanden hatten.IMG_4251

Eine Altstadt oder ein wirkliches Zentrum gibt es in Chiçinau nicht, am ehesten kann man als dieses den Bulevardul Stefan cel Mare mit den angrenzenden Parks bezeichnen. Dort finden sich einige Restaurants und vereinzelt Cafés (die Auswahl ist nicht sonderlich groß, was uns aber gefallen hat, weil einigermaßen modern und nett zu sitzen ist eine Filiale von Tonys Pizza direkt an der Hauptstraße), es reiht sich Handyshop an Handyshop, unterbrochen nur von einigen Kleidungsgeschäften mit zweifelhaft schicker Ware.IMG_4248

Wenn man die einheimische Küche kennenlernen möchte, empfiehlt sich ein Besuch des Restaurants Vatra Neamului. Dort kann man in sehr urtümlichem Ambiente Eintöpfe & Co probieren und bekommt auch noch eine kleine Darbietung an moldawischer Musik mitserviert.IMG_4301 (1)IMG_4307 (1)

Apropos Ware: eingekauft wird in Chiçinau von Montag bis Sonntag am großen Bazar und auch als Besucher sollte man es sich nicht nehmen lassen, einmal über diesen riiiiesigen Markt zu wandern und das abwechslungsreiche Angebot zu bewundern. Hier gibt es wirklich ALLES – von Obst und Gemüse, Fleisch (zum Teil werden die geschlachteten Tiere erst dort zerkleinert und auf einheitlichen blauen Waagen abgewogen), über Hausrat, Dessous (Karin hätte fast groß zugeschlagen, wäre da nicht das Problem der fehlenden Umkleidekabinen gewesen…), Schreibwaren bis zu Hochzeitsmode. Wirklich sehenswert!IMG_0900 (1)

Was uns in Moldawien, abgesehen von dem vielen Elend, das es dort durchaus noch gibt, sehr betrübt hat, waren die Leute und die verbitterten Gesichter, mit denen sie durch’s Leben schritten. Wir haben anfangs ja geglaubt, wir würden uns das nur einbilden, aber es herrschte dort eine Tristesse, wie wir sie noch nirgendwo gesehen haben. Egal ob Jung oder Alt, es fand sich kaum jemand, der lachte!! Jugendliche in Kaffeehäusern, die bei uns bestimmt „herumgegackert“ hätten, saßen ruhig beisammen, Freunde unterhielten sich ernsthaft, auch den Damen und Herren am Basar entkam kein Lächeln, wenn sie mit ihren Kunden sprachen. Traurig und sehr beklemmend!IMG_0913.jpg

Man muss ehrlich sagen, dass man Moldawien’s Hauptstadt locker an einem Tag besichtigen kann. Es blieb uns also genug Zeit, auch das Umland etwas zu erkunden. Wir hatten von Höhlenklöstern gehört, die wir unbedingt sehen wollten. Als öffentliche Verkehrsmittel werden zwar Busse angeboten, da das System aber kompliziert ist und Fahrpläne weitgehend inexistent sind, haben wir uns für ein Taxi entschieden, um diese Orte zu besuchen. Die Preisverhandlungen gestalteten sich zwar als schwierig, da unser Taxifahrer – wie die meisten anderen Leute, denen wir begegneten auch – weder English noch Deutsch oder sonst eine andere Sprache verstanden, und unser Moldawisch eher dürftig war. Wir haben uns schlussendlich aber mit Händen und Füßen auf die Fahrtroute und den Preis geeinigt und auch mit der Frau des Fahrers Rücksprache gehalten, die sich in gebrochenem Englisch nochmal über unsere Ziele vergewissern wollte.IMG_4384.jpg

Moldawien’s Landschaft ist zwar nicht sehr abwechslungsreich, es gibt weder hohe Berge noch Strände, aber sie ist geprägt von unendlich vielen Nussbäumen, teilweise in Alleen angeordnet. Und wir hatten das Glück, gerade zur Blütezeit der Sonnenblumen in Moldawien zu sein, welche das ganze Land über viele, viele Kilometer in ein hübsches Gelb tauchten.

Die Höhlenklöster – Orheiul Vechi und Tipova – waren wirklich sehenswert. Ersteres mit seiner Marienkirche, dem Glockenturm und den Einsiedler-Höhlen, thronte hoch über dem kleinen Fluss Raut, der sich in dieser Gegend durch ein felsiges Tal schlängelte. Es gilt als einer der bedeutendsten sakralen Orte und wichtigsten touristischen Attraktionen des Landes. Und tatsächlich trafen wir dort auch eine Handvoll anderer Touristen an, während uns zB in Chiçinau außer in unserem Hotel überhaupt keine Reisenden begegnet sind.IMG_0930IMG_0945

Tipova liegt an der Dnister und ist landschaftlich wirklich reizvoll. Der Blick von dort reicht weit über das Tal und den Fluss hinweg in die abtrünnige Region Transnistrien. Während die Kirche selbst nicht sonderlich sehenswert ist (der Priester, der dort offenbar permanent die Glocken läutet schon eher…), sind die alten  Klosterhöhlen noch sehr gut erhalten und können besichtigt werden, nachdem man bei einer Frau, die plötzlich quasi aus dem Gestrüpp heraus mitten in der Einöde auftaucht, ein paar Lei als Eintrittsgeld abliefert.IMG_4460IMG_4472

Leider hielt der „Pakt“, den wir mit unserem ebenfalls niemals lächelnden Taxifahrer geschlossen hatten, nur kurz an, denn kaum hatten wir unsere Ziele abgeklappert, ließ er uns – per SMS über seine Frau – wissen, dass der Fahrpreis nun doppelt so hoch wäre, wenn wir doch auch wieder zurück nach Chiçinau fahren wollten!!! Eine Weile waren wir versucht uns über soviel Frechheit zu ärgern, dann beschlossen wir, einfach bei unserer ursprünglichen Vereinbarung zu bleiben und haben genau den ausgemachten Preis bezahlt. Das hat unserem Chauffeur natürlich nicht gefallen, und ganz kurz wollte er uns noch nachlaufen, als wir das Taxi verlassen hatten, irgendwie dürfte er jedoch die Aussichtslosigkeit, durch seine Dreistigkeit an den doppelten Fahrpreis zu kommen, dann doch erkannt haben und ist schimpfend in seinem Wagen verschwunden.IMG_0977

Ansonsten muss ich aber sagen, haben wir uns in Moldawien schon sicher gefühlt. Auch wenn es nicht mal in der Hauptstadt eine vernünftige Straßenbeleuchtung gibt und die Straßen wirklich ein bisschen unheimlich wirken, man kann sich als Frauen, vor allem wenn man nicht ganz alleine unterwegs ist, durchaus frei bewegen, ohne in brenzlige Situationen zu kommen. Gewarnt wird allerdings vor Taschendieben, vor allem natürlich bei Menschenansammlungen wie zB auf den Märkten.IMG_1016

Was nehmen wir von dieser Reise nach Moldawien mit nach Hause? Spannende Erinnerungen an eines der ärmsten Länder Europas, das Gefühl einer Zeitreise mindestens 50 Jahre zurück in ein postkommunistisches System, wie wir es sonst noch nirgendwo in diesem Ausmaß erlebt haben. Können wir Moldawien als Reiseland empfehlen? Durchaus, aber nicht für jeden. Wir können es dann empfehlen, wenn man bereit ist, sich auf Neues (eigentlich ja Altes, aber für uns halt Neues… ihr wisst schon, was ich meine…) einzulassen. Man sollte nicht erwarten, dass man in ein „schönes“ Land fährt, wenn man eine Reise nach Moldawien plant – aber in ein Interessantes allemal!

Mein Moldawien-Tipp: Ein Tag in Chiçinau ist genug um einen Eindruck von der Stadt zu bekommen. Ein Ausflug aufs Land hinaus lässt einen eine Idee davon bekommen, wie die Leute dort wirklich leben. Über das Land verstreut gibt es etliche Klöster, deren Besuch sich lohnt, allerdings sollte man dafür genügend Zeit einplanen. Die Straßen abseits der Hauptrouten sind schlecht und teilweise nicht asphaltiert, sodass das Vorankommen einfach dauert. Es lohnt sich aber!

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7 comments on “MOLDAWIEN – eine Reise in das ärmste Land Europas”

  1. Die Zitate von Seneca und Fontane passen sehr gut! Dass nicht gelacht wird, kann ich nicht bestätigen. Finde ich übrigens sympathisch, dass Ihr die Namensformen Moldova und Transdnestrien aus meinem Reiseführer zumindest erwähnt. Beste Grüße

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